Aufgaben machen statt managen!

Gerade kommt die nächste Werbemail von Basecamp rein – wie toll die neuen To-Do-Listen nicht wären. Ich klicke die E-Mail weg und denke mir: Ich war einmal ein Tool-Addict. Wie gut, dass ich diese Listen nicht mehr mache. Jedes neue To-Do-Listen-Tool musste ich ausprobieren. Immer in dem Wahn, dass meine Arbeitsbelastung dann sinken würde. Aber alle diese Tools lösten das Problem nicht, denn: Die vielen Aufgaben mussten ja auch erledigt werden.
Im Wesentlichen halfen mir die Tools nur dabei, die Listen länger und länger zu machen. Dafür gibt es wirklich unzählige Werkzeuge am Markt. Sie wollen uns helfen, die viel zu vielen Aufgaben zu verwalten, zu managen und unter Kontrolle zu bekommen. Sie alle sind Auswüchse der vielen Zeitmanagement-Methoden, die es wie Sand am Meer gibt: Getting Things Done, die Seiwert-Methode, ABCD-Methode, das Eisenhower-Prinzip, Stephen Covey, Pomodoro und und und. Tools dazu gibt es sogar noch mehr als Zeitmanagementsysteme: Vor 25 Jahren war TimeSystems das Nonplusultra des Zeitplanbuchs, den Filofax gibt es noch immer und heute kommt sicher jeden Tag ein weiteres Zeitplanungsinstrument dazu. Eine elektronische Variante nach der anderen wird programmiert: Remember the Milk, Wunderlist, Asana, BaseCamp, Trello, …
Mich selbst haben diese Methoden und Tools zunehmend gestresst. Sie halfen mir lediglich dabei, noch mehr Aufgaben aufzuhäufen, die ich nicht bewältigen konnte. Manche Leute waren so unglaublich diszipliniert und konnten mit diesen Tools wunderbar umgehen, sie hatten ihr TimeSystem im Griff und hakten eine Aufgabe, einen Termin nach dem anderen ab. Ich fühlte mich schlecht. Aber wenn ich meinen unternehmerischen Erfolg, meine Veröffentlichungsquote, meine Anzahl an gehaltenen Trainings mit denjenigen verglich, die ich bewunderte … sagen wir es so: meine Lieferungen waren meistens zahlreicher. Wie kommt das? Unser Hirn hat eine wunderbare Funktion: das Vergessen. Und oft reagiert es mit einer wundervollen kleinen Entzündung: der Aufschieberitis.

Wert oder Menge?

Als ich letztens einen Vortrag zu Scrum 3.0 hielt, habe ich versucht, die Wut des gemeinen POs, uns unsäglich lange Backlogs zu bescheren, einzudämmen. Wenn die Backlogs länger und länger werden, ist die instinktive Handlung der Entwicklungsteams, diese Backlogs (die nichts anderes als To-Do-Listen sind) immer wieder anders darzustellen und zu managen – durch JIRA, Agile Zen, Trello und wie sie alle heißen. Aber das macht sie nicht produktiver, sondern nur langsamer und unproduktiver.
Also war ich so frech und sagte: „Ein Backlog sollte weniger als die Höhe der dreifachen Velocity, gemessen in User Stories/Sprint, haben. Diese Zahl wäre ideal.“ Es kam, wie es kommen musste: Ich wurde dafür kritisiert. Man warf mir vor, ich könne das so doch nicht sagen, ich verstünde die Warteschlangentheorie nicht, könne nicht rechnen und letztens habe ich sogar gelesen, ich hätte keine Beispiele gebracht. Kurz: Es sei wertlos, was ich sage.
Nun ja, klar: Wenn man Scrum als Management-Framework versteht, um einfach irgendetwas zu bauen, statt Value zu liefern, dann ist das, was ich sage, eine ketzerische Behauptung. Denn im Grunde sage ich: Lasst uns weniger tun, um mehr zu liefern. Doch da läuft gerade etwas ganz gehörig schief. Ken Schwaber hat vor zehn Jahren gesagt: In dem Moment, in dem im Backlog genügend Items liegen, um den ersten Sprint sinnvoll zu füllen, startet man los.

Das Backlog ist kein Lagerplatz

Warum? Die Antwort ist logisch: Es soll erst gar kein Backlog aufgebaut werden. Jede Verzögerung ist schädlich, jede Verzögerung lässt das Backlog anwachsen. Das Wunschkonzert wird immer lauter und diffuser, ohne durch Abarbeitung und Lieferung der Items Daten zu generieren. Hat Ken eigentlich gewusst, wie weise das war, was er gesagt hat? Die Backlogs müssen kleiner werden, die Tasklisten müssen kürzer werden, wir müssen aufhören, Defects und Aufgaben zu verwalten. Wir müssen weg vom Zeitmanagement und hin zum Value-Management. Wir müssen uns  auf eine Aufgabe nach der anderen fokussieren und jedes Mal die Dinge wieder wegwerfen, die wir sonst noch so machen könnten.
Ich höre schon den nächsten Projektleiter, der die x-te Migration eines existierenden Systems machen soll, mit mir schimpfen. Produkte und Applikationen, die jahrelang gewachsen sind, sollen in viel weniger Zeit erneuert werden, als es ursprünglich gebraucht hat, um sie zu entwickeln. Noch dazu sollen das Menschen tun, die vom eigentlichen Geschäft dahinter keine Ahnung haben: Das ist und bleibt Schwachsinn. Extrem gut bezahlter Schwachsinn für den, der dieses Projekt gewinnt, aber am Ende eine für den Kunden geld- und wertvernichtende Praxis. Das Ziel sollte sein, die geistige Kapazität fähiger Menschen darin zu investieren, etwas Neues und aktuell Sinnvolles zu entwickeln. Würde man das machen, gäbe es auch wieder die Chance zu sagen: eine Funktion nach der anderen.
Ja, ich weiß, ich bin sooo weit weg von der Realität, das ist alles so aus der Luft gegriffen. Aber ich muss einfach widersprechen. Disruptive Technologien wurden noch nie so schnell und in dieser Geschwindigkeit entwickelt wie heute. Die einen bauen noch immer die komplizierten Medizintechnik-Produkte, die der Arzt für viel Geld kaufen muss, und die anderen probieren mal eben, das iPhone zum Ultraschallgerät zu machen. Aus den USA kommt die Bewegung des Minimalismus: So wenig wie möglich besitzen, die Garderobe ausdünnen, so wenig wie möglich kaufen, so wenig wie möglich machen. Diese Bewegung lässt sich auf ein Wort reduzieren: Fokus. So viel Raum in seinem Leben machen, dass es möglich ist, die Dinge zu tun, die uns wirklich wichtig sind.

Was ist wichtig?

Aber was ist uns wichtig? Was wollen wir wirklich? Welche Funktionalitäten sind wichtig, was sollten wir tatsächlich tun? Wie wäre es damit, einfach die Dinge zu tun, die uns faszinieren? Wie wäre es, dafür Raum zu schaffen, indem wir all das auf die Seite schieben, was nicht dazugehört?
Für euer tägliches Geschäft könnte das heißen:

  • Ihr könntet nur zu den Meetings gehen, die euch wirklich interessieren.
  • Ihr könntet nur die E-Mails beantworten, die ihr beantworten wollt, die anderen ignoriert ihr einfach.
  • Ihr sprecht nur mit Menschen, mit denen ihr sprechen wollt.
  • Ihr kauft nur die Dinge, die ihr wirklich haben wollt.
  • Ihr arbeitet nur an den Projekten mit, die euch faszinieren.

Um Raum in eurem Leben zu schaffen, könntet ihr auch damit aufhören, ständig online zu sein, oder ständig in eure Smartphones zu schauen. Wer ständig online ist, der bekommt einfach zu viele Daten, ohne echte Informationen zu produzieren. Hört auf, jeden Tweet, den ihr nicht einmal gelesen habt, weiter zu verbreiten. Twitter ist der Kettenbrief von heute. Wahnsinnig viel Traffic, ohne dass es etwas bringt.
Wer reduziert, sich fokussiert, der hat auch noch die eine oder andere Taskliste und sogar die wächst – und dann kommen die Gnade des Vergessens und die Aufschieberitis zu Hilfe. Alles das, was dann nicht gemacht ist – na und? Es war offenbar nicht wichtig genug. Dann schaut man nach ein paar Tagen wieder drauf und sieht: Das eine muss getan werden und das andere wird einfach doch nie gemacht.
Oh, übrigens, To-do-Listen können sogar sehr viel Geld kosten. Aus Versehen habe ich einmal die Steuern nicht rechtzeitig eingezahlt. Tja, hätte ich es nicht als ein To-do von vielen auf den Haufen gelegt, sondern einfach sofort abgearbeitet, hätte ich eine Menge Geld gespart. Damit will ich sagen: Das mit dem kurzen Backlog funktioniert nur, wenn man die Dinge auch tut, die anstehen. Sofort. Aufgaben machen, statt sie aufzuschieben und zu verwalten. Dann brauchen wir auch keine Tools mehr, die nur verwalten, was wir eigentlich schon längst erledigt haben sollten.

Geschrieben von

bgloger-redakteur bgloger-redakteur

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