Was macht eigentlich ein ScrumMaster – Leader, Trainer, Change Agent und Facilitator

Ich treffe sie immer häufiger, die ScrumMaster in den großen Unternehmen. Mal sind sie eingestellt, mal haben sie sich als Freiberufler dazu berufen gefühlt, ScrumMaster zu werden. Diese Entwicklung ist an sich wunderbar, zeigt sie doch, dass sich Scrum in Deutschland immer mehr durchsetzt. Aber … (ich weiß, in Scrum sagt man nicht “aber”, sondern “und”) – da ist etwas, das mich bei all meiner Begeisterung stutzig werden lässt. Die Scrum-Teams, die von ca. 95% dieser ScrumMaster betreut werden, entwickeln sich nicht, die Organisationen um diese Scrum-Teams verändern sich nicht. Frage ich dann mal in Trainings, auf Konferenzen und auch in persönlichen Gesprächen die ScrumMaster nach den Gründen dafür, höre ich immer wieder die Aussage: “Meine Rolle als ScrumMaster ist es, das Team (Anm.: gemeint ist das Development-Team) zu facilitaten!”
Bei dieser Aussage stellen sich mir alle Nackenhaare auf! Ich gehe, und zugegeben bin ich in diesem Punkt nicht sehr tolerant, bei dieser Aussage oftmals sofort auf 180 und werde leicht bis mittelschwer aggressiv. Diese Einstellung, dieses Selbstverständnis der meisten ScrumMaster, führt in die Sackgasse. Denn es beschreibt nicht einmal 20 Prozent der Aufgaben und Verantwortlichkeiten eines ScrumMasters.
Müsste ich heute, nach 11 Jahren Scrum-Erfahrung und 10 Jahre nach meinem ersten Training zum Certified ScrumMaster damals in Edinburgh, sagen, was die Aufgaben des ScrumMasters sind, so hat sich das einerseits dramatisch verändert und andererseits ist es im Kern gleich geblieben.
1) Der ScrumMaster ist ein Leader – er führt ein Scrum-Team (wir wissen heute, dass das Scrum-Team aus Product Owner und ScrumMaster und Entwicklungsteam besteht). Führen heißt u.a.:

  • Er/Sie gibt Orientierung.
  • Er/Sie gibt Sicherheit.
  • Er/Sie sorgt für Verbundenheit.
  • Er/Sie sorgt für Fairness.
  • Er/Sie erzeugt die Autonomie des Teams.

Es heißt aber auch: Er entwickelt als Servant Leader ein Team, nachdem er das Entwicklungspotential gesehen hat.
2) Deshalb ist er auch ein Trainer und entwickelt sein Scrum-Team u.a. in …

  • Agilen Engineering Practices
  • Agiler Produktentwicklung
  • Design Thinking
  • Creativity
  • Communication Skills
  • uvm.

Das alles tut er/sie und muss er/sie tun, damit er/sie
3.)  als Change Agent die Organisation rund um das Scrum-Team verändern kann, denn er/sie ist an erster Stelle dafür zuständig, die Produktivität seines/ihres Scrum-Teams zu erhöhen. Damit er/sie das kann, muss er/sie die Veränderung durchführen und u.a.

  • Scrum einführen,
  • das Scrum-Team gegenüber dem Management und den
  • anderen Scrum-Teams vertreten,
  • Scrum gemeinsam mit den anderen ScrumMastern in der Firma weiter implementieren, also den Change voranbringen.

All das geht aber nicht in einer Top-Down “ich bin der Scrum-Boss” Manier, sondern nur gemeinsam mit den Menschen, für die er/sie u.a. verantwortlich ist. Daher ist er/sie vor allen auch ein
4.) Facilitator. Als Facilitator arbeitet er/sie mit den Gruppen partizipatorisch. Das gelingt, weil er/sie u.a. …

  • Kommunikationsprozesse gestalten kann,
  • Gruppenprozesse moderieren und führen kann,
  • Entscheidungsprozesse herbeiführt und zu Entscheidungen gelangen kann,
  • einem Team, einer Gruppe, einer Abteilung helfen kann, die nächsten Schritte eigenverantwortlich zu gehen.

All das macht den ScrumMaster von 2013 aus.
Die banale Frage, ob ein ScrumMaster technische Skills braucht, ist einfach zu beantworten: Natürlich! Auf jeden Fall! Genauso braucht er/sie Skills in:

  • Produktentwicklung
  • Management
  • Führung
  • Kommunikation
  • der Branche, in der er/sie sich bewegt
  • BWL
  • und und und.

Ein ScrumMaster war und ist eine 100-Prozent-Beschäftigung. Der Job ist viel viel anspruchsvoller als der eines Projektmanagers, viel anspruchsvoller als der eines Teamleiters. Wird er jede Aufgabe 100-prozentig erfüllen können? Sicherlich nicht – dazu wäre ein Übermensch nötig. Aber im Sinne Nietzsches ist er möglciherweise tatsächlich ein Übermensch. Er/Sie gestaltet sich und seine/ihre Rolle selbst. Jeder SM erschafft in seiner Funktion ein neues Bild, ein Vorbild für die nächsten ScrumMaster.

Wir ScrumMaster haben eine Verantwortung: Wir wollen die Unternehmen in agile Unternehmen wandeln, weil wir als Menschen in Arbeitsbedingungen arbeiten wollen, die sich an den Menschen ausrichten. Dazu braucht es mehr, als zu wissen, wie man ein Taskboard an die Wand schraubt und sich zu überlegen, ob man nun eine Spalte mehr oder weniger im Taskboard hat.
Mein Anliegen an Euch, liebe ScrumMaster, ist es, diese Verantwortung ernst zu nehmen! Die Development Teams und die Product Owner, sie brauchen Euch als ScrumMaster, die für sie in der Organisation einstehen. ScrumMaster, die für sie mit dem Management reden und Prozesse, Mindset und Bedingungen um Euch herum verändern. Nicht gegen die Organisation, sondern mit ihr, für sie, damit die Organisationen sich am Markt ausrichten können und Produkte erzeugen können, die von den User gebraucht werden. Auf diese Weise tragen ScrumMaster dazu bei, die Organisationen agil zu halten. So agil und flexibel, dass man dem Markt nicht hinterherrennen muss, sondern vorausgehen kann.

Geschrieben von

Boris Gloger Boris Gloger Boris Gloger zählt als erster Certified Scrum Trainer weltweit zu den Scrum-Pionieren und ist ein Vordenker für neue Arbeitsformen. Er glaubt nicht nur an Scrum, weil es bessere Produkte in kürzerer Zeit hervorbringt, sondern auch, weil es den Arbeitsplatz in einen humaneren Ort verwandeln kann. Boris ist Unternehmensberater, Autor, Serial Entrepreneur und Keynote Speaker und zählt weltweit zu den Pionieren von Scrum und Agilität. Für ihn war „Agile“ immer mehr als reine Methodik: Als einer der Ersten hat er erkannt, dass in agilen Denk- und Arbeitsweisen die Kraft steckt, Organisationen von Grund auf neu auszurichten und dadurch fit für das 21. Jahrhundert zu machen. An seinen Ideen zu einem modernen, agilen Management orientieren sich heute viele nationale und internationale Unternehmen. Als Vater zweier Kinder hat Boris ein starkes Bedürfnis, in der Gesellschaft etwas positiv zu verändern. Deshalb engagiert er sich u. a. für eine radikale Umkehr des derzeitigen Bildungssystems, wie etwa mit dem erfolgreichen Pilotprojekt Scrum4Schools. Er ist fest davon überzeugt, dass Selbstorganisation und das Prinzip der Freiwilligkeit die besten Wege sind, um Ziele zu erreichen und ein eigenständiges Leben zu führen.

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11 Antworten zu “Was macht eigentlich ein ScrumMaster – Leader, Trainer, Change Agent und Facilitator”

  1. Super Zusammenfassung – Danke (auch die Zeichnung ist echt klasse)!
    Ist wirklich eine Breite Aufgabenlandschaft für die ScrumMaster und bedingt, dass sich ScrumMaster wirklich mit 100% dieser Herausforderung stellen können. Also – jeder, der noch nebenbei Entwickler, PO und ScrumMaster für mehrere Teams ist … wie funktioniert das mit all den Aufgaben, die Boris aufzeigt 😉

  2. Hans-Peter Korn sagt:

    JA – GENAU!!!
    So ist es auch im Scrum Guide seit Jahren nachzulesen unter:
    – Der Dienst des Scrum Masters für den Product Owner
    – Der Dienst des Scrum Masters für das Entwicklungs-Team
    – Der Dienst des Scrum Masters für die Organisation
    … leider aber viel zu wenig zur Kenntnis genommen ….
    Das ist daher nicht “der nette Coach” oder der “Task Board Admin” sondern eine anspruchsvolle FÜHRUNGS-Aufgabe … plus Organisationsentwicklung ….
    Eine Aufgabe also für erfahrene Teamleiter mit einem transformationalen Führungsverhalten.

    • bgloger sagt:

      Ohne dir Nahe treten zu wollen: “Erfahrene Teamleiter” gibt es in der Welt der Agilität noch viel zu wenige. Das agile Mindset ist noch viel zu jung – die Ideen die tatsächlich zum Thema Führung in Scrum stecken so gut wie unbekannt. “Erfahrene Teamleiter” sind in der Regel darin erfahren aus der Position des Teamleiters zu agieren und das ist etwas vollkommen anderes, als aus der Position of No Power zu handeln. Ich habe noch so gut wie keinen Manager oder Teamleiter getroffen, der in einer For Profit Organisation schon wirklich gewusst hätte, wie die Art Führung, die wir gerade erfinden, funktioniert oder schon angewendet hatte.
      In Non Profit Unternehmen – so wie zum Beispiel das Büro für Zukunftsfragen in Vorarlberg, da gibt es die ersten Ansätze.
      Btw — ich finde es total schön, dass du mir in der Vielfältigkeit der Rolle des SMs zustimmst. Lass uns diesen Gedanken zu allen SMs tragen.

      • Hans-Peter Korn sagt:

        Da haben wir offenbar andere Erfahrungen: Ich habe in meinen über 30 Jahren in der IT nahezu immer erfahrene Teamleiter mit einem “agilen” Mindset erlebt. Dieses ist inhaltlich nämlich alles andere als “neu” sondern besteht aus Elementen seit den 1970er-Jahren (und teils früher).
        Schade, dass du noch keine solchen Teamleiter getroffen hast.
        Und: “No Power” ist keine Option. “Schlappschwänzig” kann so etwa ja nicht geleistet werden: “The Scrum Master is responsible for ensuring Scrum is understood and enacted. Scrum Masters do this by ensuring that the Scrum Team adheres to Scrum theory, practices, and rules.”
        Er ist – wie Daniel oben so schön schreibt – ein “Teamführer”. Ohne “power” geht das nicht. Dazu braucht es “Powermänner” und “Powerfrauen”….
        OK: Mit dem neuen Label “agil” lassen sich natürlich auch alte Erkenntnisse leicher “verkaufen”…. siehe http://www.korn.ch/archiv/publikationen/Neuer-Wein-in-alte-Schlaeuche-oder-Deja-vu.pdf

  3. Patrick Koglin sagt:

    Alles drin und dazu noch visualsiiert. Besser geht es nicht.
    Eine kurze Frage:
    Wie passt Teamleitung und Scrum Master zusammen? Wie passt Projektleitung und Scrum Master zusammen? Gibt es hier Empfehlungen?

    • Daniel Dubbel sagt:

      Scrum Master ist eine Führungsaufgabe – er führt das Team, allerdings (wie Boris weiter unten auch schreibt) auf eine andere Art und Weise, als man es vielleicht kennt. So wie sich das Management an sich von reiner Organisation mit Command And Control Ansätzen hin zu Führen entwickeln sollte, so sollte sich “Teamleitung” eher zu “Teamführung” entwickeln – und im Grundgedanken geht es dabei um “dienende Führung”.
      Projektleitung und Scrum Master passt für mich auf den ersten Blick viel schlechter zusammen, als Teamleiter und Scrum Master – weil der Fokus des Scrum Masters nicht auf Produkt/Projekt, sondern auf den beteiligten Menschen/Teams und Prozessen liegt.
      Vielleicht hilft ja auch das hier ein bisschen weiter:
      http://www.inspectandadapt.de/projektleiter-geteilt-durch-drei/

      • Hans-Peter Korn sagt:

        Ja! Es ist eine – sehr anspruchsvolle – Führungsaufgabe!
        Und: Führung mit direktivem und das “Wie” granular vorgebenen “Command & Control” ist in der IT (IMHO) schon längst “out” (im Gegensatz – leider – zu den Logistik-Zentren etwa bei amazon).
        So etwas wie das ” transformationale Führungsverhalten” ist heute insbesondere in der “Wissensarbeit” durchaus üblich.
        PL = SM geht auch für mich nicht. Dann ist die Trennung von WAS und WIE verletzt.
        PL = PO hingegen passt.
        Und: SM = Teamleiter passt auch – im Sinn einer Teamführung. Das passt sogar sehr gut, um die “Führungslücke” zu beseitigen, siehe Seite 22 und 23 in http://www.korn.ch/archiv/seminare/gefuehrte-selbstorganisation-print.pdf

  4. Daniel Dubbel sagt:

    Zum Thema “Übermensch” habe ich noch folgende Anmerkung:
    Grundsätzlich sind Teams eine sehr individuelle Angelegenheit und funktionieren unter anderem so, dass die Stärken von einigen die Schwächen von anderen ausfüllen und ein Team so gemeinsam stark wird.
    Ich teile die Auffassung, dass ein Scrum Master kein Übermensch sein kann und einige der vielen relevanten Dinge besser und andere weniger gut abdecken (und noch Know-how aufbauen) können wird. Insofern ist es wichtig, dass auch ein SM zum Team passt und ggf. andere Kollegen im Gesamt-Team oder im Unternehmen die Dinge abfedern, die der SM (noch?) nicht leisten kann.
    Letztendlich ist es vor allem wichtig zu wissen, dass die obigen Aufgaben das Spielfeld des SM sind und dass er – wenn er nicht alles abdecken kann – eine Lösung für die Bereiche suchen sollte, die er nicht oder nicht gut genug abdeckt.
    Ich habe mich auch gefragt, ob es Sinn haben kann, die obigen Punkte in eine Reihenfolge der Wichtigkeit zu bringen, bin aber zum Schluss gekommen, dass auch das sehr individuell von den einzelnen Teams abhängig ist.
    Wie seht ihr das?

  5. Vielen Dank für diese tolle Zusammenfassung und das schöne Sketch Note! Ist beides sehr hilfreich um den Scrum Mastern bei uns in der Firma ihre Rolle klarer zu machen.

  6. Renzo Venini sagt:

    Hallo Boris, danke für die Ausführungen – es tut gut wieder einmal zu hören was denn ein SM ausmacht. Ein Punkt fehlt mir jedoch bei den technischen Skills. SM eines Softwareentwicklungsteams (wofür Scrum ja ursprünglich herkommt) muss meiner Meinung mach ein SM des. softwareengineering Prozess gut bis sehr gut kennen und das Team auch dahingehend zu befähigen und weiterentwickeln. Ich bin sogar der Meinung, dass ein SM ohne SE Skills (inkl. Requirements Enigeerung und DevOps) in diesem Kontext nur bedingt einen guten Job tun kann. Gruss Renzo

  7. d.velop sagt:

    Schöner Artikel. Wir haben das Thema mal mit unseren Scrum Mastern beleuchtet:
    https://www.d-velop.de/blog/unternehmen/was-macht-ein-scrum-master/

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