Piep, piep, piep, ich hab Euch alle lieb oder ein klares Wort zur rechten Zeit!

In meinem letzten Scrum Training ist mir wieder mal aufgefallen, dass ScrumMaster häufig glauben, immer und in jeder Situation fürsorglich, verständnisvoll, empathisch, lieb usw. sein zu müssen. Obwohl zwischen den Zeilen spürbar ist, dass ihre Geduld im Umgang mit manchen Mitmenschen arg strapaziert ist, und sie am  liebsten mal Klartext reden würden. Aber nach außen hin kommunizieren sie stark schaumgebremst, weil sie gelernt haben, dass die Rolle das so vorschreibt. Daraus ergibt sich dann die (oft hilflose) Frage: “Wie kann ich Klartext reden, ohne zu viel Porzellan zu zerschlagen oder gar als ein „schlechter“ (ungeliebter?) ScrumMaster eingeordnet zu werden?” Und letztlich wertschätzen sie ja auch ihre Teams, Manager oder Product Owner, auch wenn diese manchmal mehr als „hartleibig“ auf die Anforderungen und unbequemen Botschaften ihres ScrumMasters reagieren.
Vielleicht hilft es ja, einfach mal etwas provokant zu sein. Provokationen können dann unterstützen, wenn der andere wie „vernagelt“ ist, sich starr in der Opferrolle sieht, immer in die selbe, unproduktive, Kerbe schlägt, unrealistisch demotiviert ist, seinen „blinden Fleck“ nicht wahrhaben will oder kann, usw. Eine gezielte und bewusst provokative Aussage kann also durch eine Möglichkeit sein, in stagnierenden Kommunikationssituationen situativ erfolgreich zu intervenieren. Das hört sich auf den ersten Blick sicher provozierend an, aber der Zweck heiligt halt manchmal die Mittel. Vor allem wenn die Provokation aus einer Grundhaltung von Respekt und Wertschätzung dem anderen gegenüber erfolgt. Diese Haltung ist unverzichtbare Voraussetzungen dafür, dass provokative Botschaften positiv wirken können und festgefahrene Kommunikationssequenzen wirkungsvoll klären helfen. Der Einsatz von Provokation also nicht um der Provokation willen, sondern um Blockierungen im Gespräch funktional zu bearbeiten und Klarheiten zu schaffen.
Provokation (v. lat. provocare ‚ hervorrufen, herausfordern) bezeichnet das gezielte Hervorrufen eines Verhaltens oder einer Reaktion bei anderen Personen.” (Wikipedia)
Eine Provokation löst in der Regel beim Gegenüber mehr oder weniger starke (erwünschte) Irritation und Verwirrung aus, unterbricht einen aktuellen Status quo und schafft so die Basis für ein Weiterkommunizieren auf einer anderen, klareren und funktionaleren Ebene. Das Gegenüber gerät aus seinem (oft unbewussten) Konzept, hält manchmal regelrecht die Luft an, muss sich neu orientieren und mental aufstellen. Die Führung im Gesprächsprozess geht erst mal automatisch an den Provokateur und ermöglicht eine gezielte Steuerung. Er bekommt das Heft in die Hand. Die Irritationsreaktion kann nun auf einer neuen, kreativen Basis gezielt aufgegriffen werden, das Vorhergegangene z.B. in Frage gestellt oder im Idealfall eine neue Sicht (Perspektive) der Situation reflektiert werden.
In die Welt gebracht wurde der „provokative Stil“ vom amerikanischen Coach und Therapeuten Frank Farelly. In Coaching und Beratung hat sich der provokative Stil längst etabliert und wird als wirkungsvolle Möglichkeit angewendet. Warum also sollte diese Kommunikationsmethode nicht auch in der Führung, Moderation, Teamentwicklung, usw. hilfreich sein? Auf die Dosierung und den richtigen Moment kommt es an.
Das provokative Kommunikationsmodell bietet ein breites Spektrum an Techniken an, von denen ich hier beispielhaft einige vorstellen möchste, die im Führungs- und Teamkontext eigesetzt werden können.

Übertreiben
Eine Situation verbal stark emotional aufladen, ja absurd darstellen
„Unser DailyScrum ist für alle die größte Herausforderung des Tages, kaum zu schaffen.“
„Du bist ja hier wirklich unfassbar benachteiligt.“
Fokussierte Vorwegnahme
Eine/n zu erwartende Reaktion/Einwand sehr deutlich ansprechen
„Ich weiß, jetzt wirst Du wie immer sofort schwer eingeschnappt sein.“
„Sag nichts, ich weiß sowie ganz genau, was jetzt wieder von Dir kommt.“
Humorvolles Umdeuten
Leicht ironisch eine Situation in einen anderen Zusammenhang stellen
„Sei froh, dass Du dieses Talent hast, Dich immer wieder in die Nesseln zu setzen. Echt bewundernswert, kann auch nicht jeder!“
„Wenn´s Meisterschaften in Dickköpfigkeit gäbe, hättest Du beste Chancen auf einen Titel.“
Bleib wie Du bist
Ein Verhalten durch überzogene Bestätigung in Frage stellen
„Denk nicht mal dran, Dir mal über die anderen Gedanken zu machen. Bleib Du ruhig ganz in Deiner eigenen Welt.“
„Genau, bleib Dir unbedingt treu, wieso solltest Du Dich auch mal irren, unvorstellbar.“
Emotionale Sprachbilder
Gezielt Gefühle aktivieren und einbeziehen
„Das klingt bei Dir, als ginge es hier um Leben oder Tod.“
„Die Mauer kann echt gar nicht dick genug sein, gegen die Du nicht mit Schmackes rennst.“
Köpersignale aufgreifen
Bewusst starke Betonung nonverbaler Signale
„Du zuckst ja richtig zurück, ist das denn wirklich so kritisch?”
„Deine geballten Fäuste sagen mir, Du möchtest jetzt am liebsten dazwischenschlagen.“
Seed and switch
Eine apodiktische Aussage setzen und sie sofort wieder zurücknehmen
„Da traust Du dich einfach nicht ran – ok, ich irre mich jetzt wahrscheinlich.“
„Du bist im Moment auf totale Verweigerung gepolt – kann natürlich auch was anderes sein.“
Zitate
Erfundene oder echte Zitate einsetzen (passend oder unpassend)
„Wie schon meine Oma immer sagte…………………..“
„Wie schon Karl Proll immer sagte: Lösungen müssen immer einfach, aber schlicht sein.“
„Tja, das ganze Leben ist ein Quiz.“
Mit der notwendigen Sensibilität und  etwas Mut, auch mal das Ungewöhnliche zu wagen, kann fast jeder seinen Weg „erfolgreicher Provokation“ in schwierigen Gesprächen finden, üben und einsetzen. „Also macht Euch mal nicht in die Hose, sondern steht Eure(n) Mann/Frau!”
Ganz wichtig: Bitte unbedingt auf Kränkungs- oder Beleidigungspotential der jeweiligen Provokation beim Gegenüber achten. Echte Kränkungen wären auf keinen Fall zielführend. Wenn es doch einmal schief geht, auf die Metaebene wechseln: “Sorry, das war nicht bös gemeint. Ich hatte soeben gehofft, dass eine kleine Provokation uns weiterbringen könnte.“
Provozieren mit Sinn, Augenmaß und Ziel? Erlernbar in Discussion Plus mit Dieter Rösner.

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