Die Sicherheitsfrage in der Retrospektive oder der Wert eines klaren Neins

Neulich durfte ich eine Retrospektive für ein kleines ScrumMaster-Team moderieren. Wir fingen mit der Sicherheitsfrage an: Bietet diese Retrospektive den Schutz, um die eigene Meinung ungehindert sagen zu können? Ich verteilte Zettel, auf denen jeder anonym mit “Ja” oder “Nein” antworten sollte.
 
Gute ScrumMaster hinterfragen alles. Und so kam dann auch hier schnell die Sinnfrage auf: Wozu stellen wir eigentlich die Sicherheitsfrage? Manche halten sie für unnötig, andere für überflüssig. In einer kleinen Gruppe, die sich gut und lange kennt, sind Vertrauensfragen einfach nicht üblich. Und dann stellt sich natürlich noch die Frage, was denn passieren soll, wenn jemand die Sicherheitsfrage mit “Nein” beantworten sollte. Wer auf diese Punkte keine guten Antworten hat, wird ein genervtes Augenrollen seiner Teammitglieder als Antwort bekommen.
 
Umso wichtiger ist es, den Sinn der Sicherheitsfrage klar vor Augen zu haben, um sie nach außen mit Überzeugung vertreten zu können. Unter allen Scrum-Meetings ist die Retrospektive mit Abstand das intimste. Ein Team, das sonst ständig das Produkt im Fokus hat, kehrt den Blick nach innen und reflektiert darüber, wie das Miteinander funktioniert. Allein das ist schon schwer. Wenn dann auch noch negative Gefühle wie Frustration, Enttäuschung, Wut oder Neid mitschwingen, haben wir es mit Zündstoffen erster Güte zu tun. Retrospektiven, in denen Teammitglieder sich anbrüllen oder durch abfällige Kommentare tief verletzen, sind keine Einzelfälle.
 
Die Sicherheitsfrage kann solche Situationen nicht vermeiden. Aber sie gibt jedem ganz am Anfang die Chance zur Reflektion: Wie gehe ich in diese Retrospektive rein? Fühle ich mich dabei frei oder eingeengt? Diese persönliche Reflektion geht dann als Signal an die gesamte Gruppe: Starten wir alle unbeschwert in die Retro? Falls nein, müssen wir innehalten und dem Betroffenen die Chance geben, sich zu äußern. Vielleicht wünscht er sich einen anderen Moderator. Vielleicht möchte er vom Team die Versicherung haben, dass man ihn diesmal endlich ausreden lässt. Solche Wünsche lassen sich manchmal schnell klären – manchmal aber auch nicht. Und manchmal sagt auch keiner etwas.
 
In jedem Falle wird die Sicherheitsfrage dann ein zweites Mal wiederholt und die Ergebnisse vorgelesen. Dann geht es mit der Retro weiter – auch wenn die “Neins” noch nicht verschwunden sind.
Wozu dann überhaupt die Sicherheitsfrage? Jeder im Team weiß nun, dass zumindest ein Mitglied sich in dieser Retro nicht frei fühlt. Und auch das ist ein Ergebnis sowie eine äußerst wichtige Information, die alle zum Nachdenken anregen sollte. Ohne die Sicherheitsfrage fiele es gewiss leichter, über Umstimmigkeiten hinwegzuschauen. Die Retro ist aber kein Heile-Welt-Spiel, sondern eine ernsthafte Auseinandersetzung. Deshalb brauchen wir die Sicherheitsfrage.
 
Weitere Tipps & Tricks zum Beispiel hier: http://www.akashb.com/blog/2012/05/28/agile-retrospectives-the-safety-check/
Geschrieben von

bgloger-redakteur bgloger-redakteur

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Eine Antwort zu “Die Sicherheitsfrage in der Retrospektive oder der Wert eines klaren Neins”

  1. Michael Stering sagt:

    Und mit dem Hinweis auf diese Sicherheitsfrage sollte auch das leidige Thema beantwortet sein, ob zB Vorgesetzte an der Retrospektive teilnehmen sollen. Austausch mit ihnen – ja, gern. Aber bitte nicht bei der Retro!

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